Was bedeutet Arginase-1-Mangel (ARG1-D)?
Die Rolle der Arginase 1 (ARG1)
Unter normalen Bedingungen wandelt das Enzym Arginase 1 (ARG1) die Aminosäure Arginin in der Leber im letzten Schritt des Harnstoffzyklus zu Ornithin und Harnstoff um.
In Abwesenheit des funktionsfähigen Enzyms reichern sich Arginin und Arginin-verwandte Abbauprodukte (sog. Metaboliten), einschließlich Ammoniak und Guanidinoverbindungen, an und werden mit neuromotorischer Pathologie in Verbindung gebracht.4,5
Die anhaltend erhöhten Argininwerte bei Patienten mit ARG1-D sind die Hauptursache für das Enstehen und die weitere Verschlechterung der Krankheit. Dazu zählen fortschreitende Verkrampfung der Muskulatur, Entwicklungsverzögerung und Krampfanfälle. Unbehandelt kann ARG1-D zum geistigen und körpelichen Abbau und zu früher Sterblichkeit führen.2,6-8
Wie viele Menschen leiden an ARG1-D?
Weltweit ist etwa 1 Person pro 726.000-950.000 Menschen in der Allgemeinbevölkerung von einem ARG1-D betroffen (geschätzte mittlere Prävalenz).3 Die geschätzte mittlere Häufigkeit von ARG1-D in der Bevölkerungsgruppe mit einem Harnstoffzyklusdefekt beträgt 3,8 %.1 Es gibt keine Unterschiede hinsichtlich geografischer Lage, ethnischer Zugehörigkeit oder Geschlecht.2
Unterschätzte Krankheitslast
Unzureichendes Krankheitsbewusstsein, Unstimmigkeiten beim Neugeborenen-Screening (NBS) sowie eine hohe Rate an Fehldiagnosen1,2 bedeuten, dass ARG1-D-Patienten möglicherweise unterdiagnostiziert sind. Die meisten EU-Länder nehmen ARG1-D zudem nicht in das NBS auf.3 Man geht davon aus, dass die geschätzte Krankheitslast daher höher ist als bisher angenommen.4
Die wichtigsten Symptome des ARG1-D
Das klinische Bild von ARG1-D ist nicht einheitlich.1,5,8-10 Fehldiagnosen sind häufig, da die Symptome oft anderen neurologischen und neurometabolischen Störungen ähneln.1,2
In der Regel kann die Erkrankung bereits in der Kindheit erkannt werden. Die Symptome können auch später im Leben auftreten, wenn sich die Argininwerte im Blut erhöhen.1
Der anfängliche Ausbruch beschränkt sich in der Regel auf die unteren Gliedmaßen; wenn sich die Spastik verschlimmert, können auch die oberen Gliedmaßen betroffen sein.1 Anhaltend hohe Konzentrationen von Arginin und dessen verwandten Substanzen erhöhen das Risiko für eine gesteigerte Krankheitshäufigkeit und ein frühes Versterben.1-7
Fortschreitender Krankheitsverlauf
Als Erbkrankheit besteht der Arginase-1-Mangel von Geburt an. Die ersten 6-12 Monate nach der Geburt sind oft ereignislos1,2, können sich aber u.a. mit Krampfanfällen, Reizbarkeit, Fütterungsschwierigkeiten, verminderter Wachsamkeit präsentieren.1,2
Im Kindesalter manifestieren sich eine Spastik in den unteren Gliedmaßen (hauptsächlich Zehenspitzengehen)1 und Krampfanfälle2. Es kommt zu Entwicklungsverzögerung1,3. Eine spontane Vermeidung von eiweißreichen Lebensmitteln ist üblich4,5. Die Lebersymptomatik (hepatische Pathologie) umfasst eine Leberfibrose und akutes Leberversagen.7
Die Spastik schreitet mit zunehmendem Alter voran (sog. progressive Spastik).1 Es kommt zu einem variablen Rückgang des Wachstums4 und unterschiedlicher Verschlechterung der neuromotorischen und kognitiven Fähigkeiten3,5,6, wie einem Verlust von Gangbild, Wortschatz oder der gesprochenen Sprache sowie Kontrollverlust der Schließmuskulatur.
Im weiteren Verlauf ist mit einem potenziellen Verlust der Mobilität4 und Kontrolle von Darm und Blase1,7 zu rechnen. Schwere geistige Behinderung mit Verlust der Sprache können auftreten.4,8
Unbehandelt kommt es bei ARG1-D zu einem variablen Rückgang der geistigen und funktionellen Fähigkeiten, die zu einer frühen Sterblichkeit führen können.1,4,8
ARG1-D-Diagnostik und Therapie
Bei Patienten mit Symptomen und einer Anamnese, die auf ARG1-D hindeuten, sollte die Argininkonzentration im Blut im Rahmen einer Routineanalyse der Aminosäuren gemessen werden.1,2 Liegt eine Hyperargininämie vor, kann die ARG1-D-Diagnose durch einen Gentest* bestätigt werden.
Die derzeitige Standardbehandlung für ARG1-D beruht auf einer symptomatischen Therapie, die eine Einschränkung der Eiweißzufuhr über die Nahrung, Nahrungsergänzungsmittel mit essenziellen Aminosäuren und Stickstofffängern umfasst.2,3 Sie wirkt nicht auf die körpereigene Argininproduktion und reicht daher nicht aus, um um die Argininkonzentration im Blut dauerhaft zu normalisieren.3
* Aufgrund der genetischen Heterogenität der ARG1-Genotypen sind nicht alle Mutationen, die ARG1-D verursachen, identifiziert worden.
1. Sun A, et al. Arginase Deficiency. 2004 Oct 21 [aktualisiert 2020 May 28]. In: Adam MP, Mirzaa GM, Pagon RA, Wallace SE, Bean LJH, Gripp KW, Amemiya A, editors. GeneReviews® [Internet]. Seattle (WA): Universität von Washington, Seattle; 1993-2023. 2. Ah Mew N, et al. Urea Cycle Disorders Overview. 2003. Verfügbar unter:
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK1217/.
Anforderungen an das ARG1-D-Management
Das Management von ARG1-D erfordert einen integrierten Ansatz. Das multidisziplinäre Team sollte nicht nur Spezialisten für Stoffwechselstörungen, Neurologie und Genetik umfassen, sondern auch Diätassistenten, Physiotherapeuten und andere Fachleute aus dem Gesundheitswesen und anderen Bereichen.1
Der in der aktuellen Leitlinie festgelegte Behandlungszielwert für die Argininmenge im Blut von 200 μmol/L liegt über dem oberen Grenzwert des Normalwerts und kehrt die immer stärker werdende Ausprägung von ARG1-D möglicherweise nicht vollständig um.4
Es besteht ein Bedarf an einer Behandlung, die das Fortschreiten der Krankheit bei ARG1-D verlangsamen oder im besten Falle umkehren kann.